Südtiroler Schulgeschichte: Unterdrückung und Neustart in Meran, 1924-1945

12.03.2024 // 18.00

Vortrag und Diskussion

In deutscher und italienischer Sprache

Vortrag im Rahmen der Ausstellung:

FrauenBilden 1723-2023
300 Jahre Englische Fräulein in Meran

Congregatio Jesu, Mitteleuropäische Provinz – Alphabeta Meran, 2023

Es war ein langer Weg, das Menschenrecht auf Bildung zu verwirklichen. Dieses Recht wurde hart erkämpft – und es kann leicht wieder verloren gehen.

Südtirol hat es erlebt: in der Zeit des faschistischen Regimes 1922-1943.

Nach einer anfänglich noch liberalen Phase (1919–1922) zeigte die neue Staatsmacht, das Königreich Italien, dem Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg zugeschlagen worden war, sehr bald ihr autoritäres Gesicht. Nach der Machtergreifung Mussolinis am 30. Oktober 1922 ging das faschistische Regime daran, die annektierten deutschsprachigen Landesteile planmäßig und rücksichtslos zu italianisieren. Vor allem die deutschen Schulen gerieten sofort ins Visier, der deutsche Lehrkörper wurde zerschlagen, für die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols riss die Beschulung in deutscher Sprache ab.

Das konspirative Angebot der verbotenen und vom Regime verfolgten Katakombenschulen reichte nicht für eine notdürftige Alphabetisierung. Auch die zugestandene religiöse Unterweisung in deutscher Sprache (nach dem Ausgleich zwischen Mussolini und dem Vatikan) konnte den fehlenden muttersprachlichen Unterricht in Lesen und Schreiben nicht ersetzen.

Die Schwesterngemeinschaft der Englischen Fräulein in Meran leistete wahre Nothilfe: sie durfte den Lehrbetrieb im Ventennio als privates Institut mit Öffentlichkeitsrecht aufrechterhalten, und zwar wie vorgeschrieben mit Unterricht in italienischer Sprache. Dafür konnten die „Englischen“ auf einen Bestand erfahrener Lehrerinnen zurückgreifen, die im Gebrauch der italienischen Sprache intensiv nachgeschult wurden. So gelang es, die Schule mit kluger Geschmeidigkeit durch die dunkle Zeit zu führen und wenigstens ein paar Inseln muttersprachlichen Unterrichts anzubieten. Einschlägige Dokumente in der laufenden Ausstellung liefern dazu rührende Beweise.

Im Mai 1945 war der Spuk vorbei. Südtirols Bevölkerung konnte kaum noch lesen und schreiben. Doch schon im Herbst 1945 gelang der Neustart: Als erste höhere deutsche Schule wurde die Lehrerbildungsanstalt in Meran gegründet und im Haus der Englischen Fräulein am Sandplatz untergebracht – es war ein Husarenstreich, der in den hektischen Monaten zwischen Zusammenbruch des Dritten Reichs und Übergang zur Nachkriegsordnung unter Aufsicht der Alliierten kurzerhand Fakten schuf – auch davon soll die Rede sein.

Referentin: Prof. Dr. Ulrike Kindl, geb. 1951 in Meran, Germanistin an der Universität Venedig, heute im Ruhestand. Forschungsschwerpunkte im Bereich Mediävistik, Begriffsforschung und bildwissenschaftlichen Themen. Daneben beobachtet sie aufmerksam die Zeitgeschichte in Südtirol und begleitet Editionsprojekte zu aktuellen Lokalthemen.